Der Weg zur Notbremse

Hallo, schön dass du da bist.
Ich habe mir in den letzten Tagen viele Gedanken um die Frage gemacht, wann der richtige Moment ist, die Notbremse zu ziehen und sich Hilfe zu suchen. Dabei bin ich zur Erkenntnis gekommen, das es den richtigen Moment wohl nicht gibt. Hier möchte ich jetzt einmal erklären warum und meine Geschichte dazu erzählen…

Im Verlauf dieses Jahrs habe ich immer öfter Tiefs erlebt. Teilweise so schlimm, dass ich alles hinwerfen wollte. Jedes Mal war der Stresslevel so enorm hoch, dass ich sämtliche Energiereserven aufgebraucht hab. Wäre das nicht bereits der Zeitpunkt gewesen? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Sagen wir es anders, rückwirkend betrachtet hätte ich da schon stoppen müssen. Betrachtet man das ganze jetzt allerdings aus der Sicht dieses Moments, dann ist das für mich eine Situation gewesen, in der jeder von uns schon Hunderte male war, wenn er sich beispielsweise schlicht überarbeitet hat oder derjenige einfach vorher ein extremes Erlebnis hatte.
Man sagt sich, das es eben ein „Scheißtag“ war, geht schlafen und am Folgetag geht’s halt weiter.

Doch wann ist der Zeitpunkt?
Mir fiel allerdings auf, dass das Phänomen „Scheißtag“ immer häufiger auftrat. Mir war klar, dass das dauerhaft nicht gut sein kann. Dennoch war ich mir sicher, noch Herr der Lage zu sein. Hätte ich da schon auf die Alarmsignale hören sollen? Möglicherweise.

So zogen sich die Wochen dahin. Erst nur ein schlechter Tag, dann mal Zwei, dann wieder eine gute Woche. Irgendwann kippte das Verhältnis allerdings. Die schlechten Tage überstiegen die guten.
Ich fing an mich wie ein Handy zu fühlen, welches man mit 1% Akku über den Tag Quält.
Allmählig fiel es mir schwer, morgens die entsprechende Motivation zu finden. Trotzdem schaffte ich meine Arbeit. Der Preis dafür waren Trägheit und totale Erschöpfung am Abend. Ich denke spätestens hier hätte ich versuchen müssen, an meiner Situation etwas zu ändern. Und wäre es nur ein Gespräch mit den Vorgesetzten gewesen, um den Stresslevel etwas zu senken. Ob es gereicht hätte, weiß ich nicht. Das wäre aber ein Ansatz gewesen.

Es kam nach etlichen weiteren Wochen dann die Tage, an denen ich merkte, dass mich die Arbeit so massiv überfordert, dass ich nicht mehr alles geschafft bekam. Kunden fühlten sich vernachlässigt, Kollegen mussten meine Arbeit manchmal mit erledigen oder sie blieb einfach liegen. Natürlich blieb das auch bei meinen vorgesetzten nicht unbemerkt. Schlimm nur, dass ich stets eine gute Erklärung hatte. Trotzdem beschloss ich eines Tages, dass ich meine Chefs darüber in Kenntnis setzen wollte.
Was mir allerdings fehlte, war der richtige Zeitpunkt. Doch wie bestimmt man den? Vermutlich ist die richtige Antwort:
Diesen Zeitpunkt gibt es nicht.

Ich für meinen Teil hab zu lange gewartet. Es kam der Tag, an dem ich mein Offenbarungsgespräch bekam. Man nahm es erstaunlich gelassen auf und versprach mir Hilfe in Form von Spezialisierung auf einen festen Aufgabenbereich. Wer meinen ersten Post noch im Hinterkopf hat, weiß das das im Systemhaus quasi ein Novum ist. Das Problem daran war nur, dass das Kind hier schon lange in den Brunnen gefallen war. Die Botschaft meiner Vorgesetzten gab mir erstmal wieder einen kleinen Kick aber nur für wenige Tage. Alles blieb beim Alten… Ich quälte mich Stumpf weiter durch den Alltag, immer mit dem Ziel vor Augen, alles wird gut. Falsch gedacht…

Es kam der Tag des ersten Zusammenbruchs.
Den Tag vergesse ich vermutlich niemals. Es war montags und ich allein in der Firma. In meiner Aufgabenliste ein Haufen Arbeit für diverse Kunden, auf dem Tisch in der Technik zwei Server, welche mal eben vorbereitet werden sollten, ein durchweg klingelndes Telefon und das Firmenhandy machte munter mit. „Alltag“ halt.
An dem Tag entwickelte sich der „Alltag“ allerdings für mich zur Hölle.
Irgendwann gegen Mittag wurde mir alles zu viel. Ich zuckte bei jedem Klingeln zusammen. Unser interner Chat gab keine Ruhe, eine Mail nach der anderen schoss rein. Jeder wollte etwas und das am besten sofort. Bei mir machte es klick im Kopf, wie eine durchgebrannte Sicherung.
Ich saß in der Technik vor den Servern und Weinte. Nichts ging mehr. Ich spürte einen Druck auf meinem Brustkorb, wie ich Ihn noch nie gespürt hatte. Irgendwas Zerdrückte mich regelrecht.
Dieses Gefühl in dem Moment werde ich nie vergessen. So unfassbar Machtlos habe ich mich noch nie Gefühlt. Das einzige was ich noch konnte, war meine Frau (welche da zum Glück Frei hatte) anzurufen. Sie war innerhalb von ein paar Minuten im Büro und weiß der Kuckuck wie, Sie hat mich aus meiner Heul/Panik Attacke rausgeholt. Sie blieb bis Feierabend bei mir im Büro sitzen. An Arbeiten war eh nicht mehr zu denken. Zu wirr waren meine Gedanken. Was war da passiert?!

Erst den Abend realisierte ich, es war eine Panikattacke. Mein Körper wollte nicht mehr. Das war der Preis, den ich für das ignorieren aller Warnsignale zu Zahlen hatte. Trotzdem ging ich weiter zur Arbeit. Getreu dem Motto „Hat ja keiner mitbekommen“. Was ich allerdings tat war mir ein Telefonverzeichnis mit Therapeuten zu Organisieren. Ich wusste, ohne Hilfe geht nichts mehr.
Durch irgendeinen unfassbaren Zufall fand ich auch einen Therapeuten und bekam einen Termin für Oktober. Wer sich damit schonmal beschäftigt hat, weiß wie unwahrscheinlich das ist.
Die Arbeit machte mich fertig. Im Privaten Alltag blieb restlos alles auf der Strecke.
Dennoch wollte ich weiter machen, bis zum Start der Therapie. Auch hier kann ich euch nur den Tipp geben, macht das nicht…


Am Freitag derselben Woche hatte ich dann meine zweite Attacke. Mein Glück in dem Moment war eine sich anbahnende Grippe, welche am folgenden Montag einen Besuch beim Arzt erforderlich machte. (Kurz zur Info, ich gehe normal zum Arzt, wenn ich den Kopf schon unter dem Arm trage.)
An dem Termin habe ich beschlossen, meiner Ärztin alles zu erzählen. Wie sich raus stellte, genau die richtige Entscheidung. Sie hörte mir aufmerksam zu, besprach mit mir das weitere Vorgehen, machte mir etwas Mut und am wichtigsten, Sie schrieb mich Krank. Das Ganze ist deshalb so wichtig, weil Ihr in der Situation unbedingt abstand braucht. Der Körper muss runterfahren.

Das was mich in dem Moment tröstete, waren folgende Worte:
„Herr Amlung bitte sehen Sie das hier nicht als Ihre Niederlage, Sie haben es schließlich hierhergeschafft. Somit sind Sie weiter als damals. Das System um Sie herum hat sich schließlich nicht geändert.“  Und Sie weiß nach genauerem nachdenken gar nicht wie recht Sie damit hat. Das allerdings ist eine andere Geschichte, welche ich euch auch noch erzähle.

Kurz zum Abschluss:
Wartet nicht zu lange, wenn Ihr merkt die Arbeit Frist euch auf. Mal einen „Scheißtag“ oder auch mal ne Woche ist OK und von jedem machbar. Lasst das nur keinen Dauerzustand sein. Falls das aktuell bei euch so ist, sucht das Gespräch zu eurem Vorgesetzten und versucht unbedingt den Stresslevel zu senken. Wenn Ihr darüber bereits hinaus seid und nicht mehr weiter wisst, versucht einen Therapeuten zu bekommen. Redet in der Überbrückungszeit mit eurem Hausarzt, denn auch die wissen in der Regel was sie tun. Bitte macht nicht die selben Fehler wie ich. Dafür schreibe ich das hier. Ich weiß, der Schritt ist hart und ich weiß wie schlecht man sich fühlt. Man hat das Gefühl einen Kampf verloren zu haben. Das ist aber nicht so. In unserer Welt kann man diesen Kampf nur verlieren. Der Leistungsdruck ist so gigantisch wie nie zuvor… Auch hierzu werde ich noch etwas schreiben. Ich beende den Post an dieser stelle und hoffe, das ich damit jemandem Helfen konnte, diese Entscheidung mal zu bedenken.

Vielen Dank, dass du bis hierher gelesen hast. Ich würde mich über ein Feedback zu diesem Post freuen. Lasst euch das Leben nicht vermiesen. Bis hoffentlich Bald…

Hier der Post als Audio:

4 Gedanken zu „Der Weg zur Notbremse“

  1. Hey,
    schön, dass du hier über diesen Blog über deine Probleme berichtest und vermutlich eine Art Ventil findest.

    Ich wünsche Dir viel Energie.

    LG Thomas

  2. Hallo lieber Marc,
    ich habe mir einige deiner Posts angehört, und kann mich in vielen Punkten mit dir identifizieren. Ich wünsche dir viel Kraft, und werde deine Posts weiterhin verfolgen.

    1. Hallo Denis,
      ich kann in dem Fall einfach nur danke sagen.
      Dadurch das ich von dir und vielen anderen Leuten gestern so geniales Feedback bekommen hab, lohnt das Ganze noch mehr, als es das eh schon getan hat.
      Das gibt mir gerade unfassbar viel Energie.

      LG
      Marc

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